Im Wintersemester 2020/2021 fand unter dem Titel ‘Lernen spielerisch gestalten’ ein Projektseminar zum Game Based Learning in Schule und Hochschule statt, aus welchem unterschiedliche spielerisch gestaltete interaktive Lernobjekte hervorgegangen sind. Die für das Modul Fachdidaktik III im Fach Deutsch angebotene Lehrveranstaltung von Dr. Gunhild Berg wurde dabei sowohl von René Barth aus dem Projekt DikoLa als auch von Benjamin Eugster, Leitung des Projekts [D-3] Deutsch Didaktik Digital, unterstützt.
In diesem Beitrag soll exemplarisch dargestellt werden, wie ein Projektseminar einerseits die Thematik von Spielen und Gamification in der Lehrer*innenbildung theoretisch einbringen und andererseits Studierende zu den Gestalter*innen von Spielkonzepten und spielerischen Lernobjekten machen kann. Der Beitrag wurde in Co-Autorschaft von René Barth und Benjamin Eugster verfasst und erscheint ebenfalls auf dem Blog von [D-3].
Hintergrund: Zu einer Didaktik des Videospiels
Die Idee zu diesem Seminar entstand im Zuge einer ebenfalls dem spielerischen Lernen gewidmeten Veranstaltung aus dem Sommersemester 2020: In ‘Zu einer Didaktik des Videospiels’ stellten Gunhild Berg und René Barth aus vier unterschiedlichen Perspektiven Möglichkeiten vor, wie Lehrkräfte an das unter Kindern und Jugendlichen weit verbreitete Interesse an Games anknüpfen und dieses für die Gestaltung ihres (Deutsch-)Unterrichts nutzen können. Die theoretische Grundlage bildete dabei eine Einführung von Spielen und spielerischen Elementen des Lernens in vier Modalitäten:
Spiele als Motivator
Thematisiert wurden digitale Spiele zunächst als Motivator im Sinne von Gamification. Dabei bedient man sich nicht vollwertiger Spiele, sondern überträgt vielmehr einzelne Spielelemente und -mechanismen aus dem Bereich des (vorwiegend digitalen) Spiels auf nichtspielerische Kontexte (wie beispielsweise eine Unterrichtssequenz) und rahmt diese spielerisch, wobei ebenjener Kontext im Kern erhalten bleibt.
Spiele als Träger
Werden indessen vollwertige Spiele bewusst als Träger von Lerninhalten entwickelt, spricht man von Serious Games, dem zweiten Programmpunkt des Seminars. Der Fokus lag hierbei – neben der theoretischen Diskussion und Auflösung des Oxymorons ‘ernstes Spielen’ – vor allem auf der gemeinsamen Erarbeitung von Qualitätskriterien zur Beurteilung derartiger Lernsoftware. Aber auch die Einbindung von Unterhaltungssoftware für Lehr-Lernzwecke unter Berücksichtigung von deren möglicher Trägerschaft von Wissen kam zur Sprache.
Spiele als Gegenstand
Digitale Spiele können aber auch selbst Gegenstand des Unterrichts sein. Mit Blick auf das Fach Deutsch können Sie auf ihre narrativen Strategien untersucht, hinsichtlich des vermeintlichen Widerspruchs zwischen Handlung und (Spieler-)Handeln problematisiert und im intermedialen Vergleich weiteren Formen des Erzählens, wie auch dem literarischen, gegenübergestellt werden.
Spiele als Anlass
Zu guter Letzt bieten sich Games auch als Anlass für unterschiedliche lese- und schreibdidaktische Aufgaben an, sei es in Form von Lektüreanlässen (zu denken wäre hier beispielsweise an Ute Poznanskis ‘Erebos’), als Schreibanlass (“Mein schönstes Spielerlebnis”) oder aber als Anlass für die Erstellung unterschiedlichster multimedialer Produkte wie kommentierter Let’s Plays oder gar selbsterstellter Spiele.
Während dieser Teil der Veranstaltung einen stärker inputorientierten Ansatz verfolgte, hatten die Studierenden für die zweite Seminarhälfte die Aufgabe, selbst Konzepte zu entwickeln, in denen sie bestehende Games entweder zum Gegenstand einer Unterrichtseinheit bzw. -sequenz machten oder diese als Lektüre- und/oder Produktionsanlass in ihre Planung integrierten. Auf diese Weise sollte die für das Modul Fachdidaktik III geforderte Anwendungsorientierung gewährleistet werden, ohne aber die Studierenden durch die Produktion aufwändiger analoger oder digitaler Lernobjekte zu überfordern.
Dass so viel Vorsicht gar nicht nötig war, zeigte sich indessen in einem kurzen Workshop, welcher innerhalb der ersten Seminarhälfte stattfand und den Studierenden anhand der Methode des Game Thinking-Ansatzes näherbrachte, wie sie zielgruppenadäquat zunächst die richtigen Spielelemente und Rahmenbedingungen auswählen und diese anschließend zu einem spielerischen Lehr-Lernarrangement verbinden können. Die Ergebnisse dieses kurzen Workshopslots waren für Gunhild Berg und René Barth derart erstaunlich, dass sie für das Wintersemester eine Wiederholung des Themas beschlossen – mit dem Unterschied, dass der Fokus nun auf der Entwicklung genau solcher Produkte liegen sollte.
Seminarkonzept entlang des Design-Prozesses
Aufbauend auf dieser positiven Erfahrung aus dem Vorsemester, wurde für die Durchführung im Wintersemester ein stärker produktionsorientierter Ansatz für das Projektseminar gewählt. Dies erforderte eine systematische und strukturierte Heranführung an die komplexe Projektarbeit, die sowohl technische als auch mediendidaktische Kompetenzen erforderte. In Anlehnung an die verschiedenen Phasen der Projektarbeit war das Seminar abermals in vier größere Teile gegliedert:
Theorie
Um möglichst viel Zeit für die eigentliche Arbeit am Lehr-Lernprodukt zu gewinnen und dennoch für die notwendigen theoretischen Grundlagen zu sorgen, wurde der Auftakt unter dem Namen ‘Theorie-Challenge’ als eine Art Mini-Projekt konzipiert. Die Studierenden sollten sich in Gruppen von ca. 5 Personen den 6 vorgegebenen Themenbereichen zuordnen und innerhalb von nur einer Woche gemeinsam einen zusammenhängenden Text verfassen, in welchem sie vorgegebene Leitfragen zu beantworten hatten. So bestand das offensichtliche Ziel zwar aus der Aneignung der theoretischen Grundlagen; zugleich sollten die Studierenden auf diese Weise aber ihre Gruppenmitglieder sowie vorherrschende Gruppendynamiken mit einem festgesteckten Ziel und in kurzer Zeit kennenlernen. Den Abschluss des theoretischen Auftakts stellte die Ergebnispräsentation durch die einzelnen Gruppen im Plenum dar, im Rahmen derer offene Fragen geklärt und Feedback zu den Textprodukten gegeben wurde.
Konzeption
Die daran anschließende Konzeptionsphase bestand einerseits aus einem Online-Workshop zur spielerischen Gestaltung interaktiver Lerninhalte mit H5P, der durch das Projekt [D-3] Deutsch Didaktik Digital durchgeführt wurde. Damit konnten den Studierenden erste Anregungen zur technischen Umsetzung gegeben und ein niederschwelliger Zugang zu Methoden des instructional Designs ermöglicht werden. Mit einer ganzen Bandbreite an technischen Umsetzungsmöglichkeiten im Kopf, entwickelten die Studierenden in einem dreistündigen ‘Game Thinking’ Workshop erste Ideen für ihre Projekte, die sie anschließend bis zur darauffolgenden Sitzung konkretisieren sollten. Dabei hatten sie auf der didaktischen Seite Lernziele und -inhalte sowie Umfang, Zielgruppe (Schulform, Klassenstufe) und die Einbindung in den Lehr-Lernprozess festzulegen. Auf der technisch-gestalterischen Seite mussten sie zu diesem Zeitpunkt Entscheidungen treffen für ein Medienformat, das Spielgenre, die Spielwelt und die Kernhandlung sowie die einzelnen Spielelemente und die damit verbundenen Mechanismen.
Entwicklung
Die Produktentwicklungsphase wurde neben der Präsentation der konkretisierten Ideen aus dem Game Thinking Workshop durch zwei verbindliche Konsultationen strukturiert; die übrige Zeit stand den Studierenden für die selbstorganisierte Gruppenarbeit zur Verfügung. Auf Bedarf wurden sie dabei von den Seminarleitenden unterstützt, sei es in Form einer medientechnischen Starthilfe, der Unterstützung bei der konkreten Operationalisierung ihrer Ideen oder der Klärung von Detailfragen.
Evaluation
Die ersten Zwischenstände der sechs Seminarprojekte wurden im Januar 2021 im Rahmen einer Online-Tagung des Erasmus+ Projektes DiCoTE (Digital Competences in Teacher Education) vor Kolleginnen der Universitäten Graz (Österreich) und Tartu (Estland) vorgestellt. Für die abschließende Beurteilung und Würdigung der fertigen Prototypen wurde indessen eine externe Jury, bestehend aus Vertreter*innen aller drei Phasen der Lehrer*innenbildung in Deutschland, hinzugezogen. Auf diese Evaluationsphase und die anschließende schulische Nachnutzung wird im restlichen Beitrag noch ausführlicher eingegangen.
Würdigung und Feedback jenseits von „Pointsification“
Die spielerischen Prototypen sind im Verlauf des Seminars so unterschiedlich ausgefallen, dass eine einfache Bewertung weder möglich noch angemessen gewesen wäre. So war von Anfang an fest im Konzept eingeplant, dass eine abschließende Auswertung der Produkte sowohl in einer wertschätzenden als auch selbst in einer spielerischen Form erfolgen sollte. Ursprünglich war für die Ergebnisse ein Abschluss in Form eines Marktes der Möglichkeiten geplant. Nachdem sich die Studierenden also eingehend in mehreren Bearbeitungsschlaufen mit dem eigenen Projekt beschäftigt hatten und diesen Prozess parallel in einem E-Portfolio reflektiert hatten, war dies auch der Zeitpunkt das spielerische Produkt mit Spielenden zu testen. Die Umsetzung erfolgte letztlich nicht als bunter Marktplatz mit unterschiedlichen Spielecken in Seminarräumen, sondern erfolgte in Form einer virtuellen Jurierung.
Im Vorfeld der vorletzten Sitzung erhielten fünf externe Juror*innen die finalen Projektergebnisse zum Testen. Mit dem etwas ironischen Motto “Deutschdidaktik sucht das Superspiel” wurden die Spiele von den einzelnen Gruppen jeweils kurz vorgestellt und von der 6-köpfigen Jury mit einer Punktzahl zwischen 1 und 10 bewertet. Neben dieser im wahrsten Sinne des Wortes “pointsifizierten“ (Zur Kritik an der Reduktion von Gamification auf Pointsification ist Margaret Robertsons Beitrag zu empfehlen) Komponente stand aber vor allem das anschließende Feedback durch jeweils ein*e Juror*in im Vordergrund. Von der Referanderin über die Deutschlehrerin bis zum Fachseminarleiter konnten so Perspektiven der Praxis eingebracht werden. Besonders für die Beurteilung der Angemessenheit und Umsetzbarkeit war dieses Feedback nicht nur für die Studierenden, sondern auch für die Seminarleitung hilfreich. In einer Kombination aus qualitativen und quantitativen Bewertungen konnte ein Jury-Favorit auserkoren werden sowie weitere vier Projekte in den Kategorien Lernziel, Spielziel, Story und Immersion, Schwierigkeitsgrad, Lernsetting sowie Grafik und Animation gewürdigt werden.
Nachhaltige Nutzung studentischer Projektarbeiten als OER
Aufwändig gestaltete Lerninhalte, die in der Schublade verschwinden müssen, mögen zwar lehrreiche Werkstücke sein, allerdings ist damit auch ein gewisser Frust vorprogrammiert: Wofür all der Aufwand? Aus diesem Grund wurden die Studierenden bereits während der Erstellung der Produkte darauf hingewiesen, die Inhalte so nachhaltig wie möglich zu erstellen. Dies bedeutete einerseits das Verwenden offener Inhalte für die Erstellung als auch offener Formate für die technische Umsetzung. In der gegebenen Zeit und im Umfang eines Projektseminars war dies zweifelsohne eine große Herausfoderung. Bei den meisten Projekten hat sich dieser Aufwand dadurch ausgezahlt, dass sie im Sinne von Open Educational Resources (OER) öffentlich einseh- und spielbar sind.
Gruppe 1: Faust – Das Spiel
Download aller Spieldaten und Spielanleitung
Gruppe 2: Story Book
Download der PPT (auf Anfrage)
Gruppe 3: Grammatical Journey
Vorschau des Spiels auf [D-3]-Blog (auf Anfrage)
Gruppe 4: Die kleine Märchenreise
Link zum Spiel auf apps.zum.de
Gruppe 5: Leseabenteuer mit Pippi
Download des Kurses für Moodle 3.10 / Spielanleitung
Gruppe 6: Ein Tag im Büro
Download der Modifkation für Minecraft
Dieser offene Umgang der Projektteams mit ihren Ergebnissen ermöglichte auch eine flexible Nachnutzung im ursprünglich angedachten Nutzungskontext. Im Anschluss an das Seminar wandte sich die Lehrerin Maxi Kreft, die bereits als Jury-Mitglied am Finale der Lehrveranstaltung mitgewirkt hatte, mit der Frage an die Seminarleitenden, ob sie das Gewinnerprojekt ‘Die kleine Märchenreise’ in ihrer 5. Klasse ausprobieren dürfe. Nach positiver Rückmeldung der Urheberinnen des Spiels, Lea Eimler, Anna-Maria Hoke, Flora Linstedt und Victoria Spilner, gab sie ihren Schüler*innen, die Aufgabe, ‘Die kleine Märchenreise’ zu Hause zu spielen und anschließend, wenn möglich, einen kurzen, von ihr erstellten Feedbackbogen auszufüllen. Insgesamt erhielt sie 14 Bögen zurück, in welchem die Schüler*innen sich äußerst positiv zu ihrer Spielerfahrung äußerten und die Studierenden in einigen Fällen explizit für ihre Arbeit lobten.
Enttäuschung herrschte lediglich angesichts des abrupten und vorerst unabgeschlossenen Spielausgangs: Ziel der Märchenreise ist es, durch das Lösen von themenbezogenen Rätseln Zahlen zu erspielen, welche laut Rahmenhandlung dafür benötigt werden, das Zahlenschloss an einer geheimnisvollen Truhe auf dem Dachboden der Großmutter zu öffnen. Für eine Rückbindung des Spiels an die reale Unterrichtssituation haben die Studierenden die letzten Rätsel zur Ermittlung der Zahlenfolge als Gruppenarbeit in Präsenz angelegt, welche allerdings aufgrund der pandemiebedingten Einschränkungen im Schulbetrieb zum damaligen Zeitpunkt nicht durchgeführt werden konnte. Maxi Kreft plant dies jedoch sobald wie möglich nachzuholen und den Schüler*innen abschließend den Preis für ihre Bemühungen und ihr Feedback an die Studierendengruppe in Form von Schoko-Goldtalern zu überreichen.